Köchelnder Konflikt

Die kleine Stadt Kikoyama liegt im Norden des Feuerreiches. Das Klima hier isr gemäßigt, im Sommer nicht zu heiß und im Winter nicht zu klirrend kalt. Warme Winde wehen von majestätischen, aber nicht zu schroffen Bergkämmen. Die Stadt legt Wert auf altertümliche Pracht, mit Pagoden und kunstvoll angelegten Gärten.
In den hohen Kreisen der Gesellschaft genießt Kikoyama den Ruf, ein Ort der Kur, der Erholung und der Gesundheit zu sein.

Ein friedlicher Auftrag. Die Bewachung eines mittelalten, mittelwichtigen Politikers war keine Herausforderung, sondern eine willkommene Erholung. Besonders an diesem Ort. Besonders nach dem Ausflug ins Windreich.
Ringo stand am Fenster im oberen Stockwerk einer Pagode. Ihr Klient zog eine weitere Runde durch den weitläufigen Garten. Zwei gerüstete und mit Naginatas bewaffnete Soldaten folgten ihm in respektvollem Abstand, während der Politiker sich immer wieder vorbeugte, um an den Rosen zu riechen oder einem Käfer beim Käfersein zuzuschauen. Der Mann hatte harmlose Hobbys, wenn man davon absah, dass er besonders seltsame Insekten einsammelte, aufspießte und seiner Sammlung hinzuzufügen pflegte. Davon gab es einige hier. Inzwischen ein paar weniger.
Selten waren an diesem Ort jedoch nicht nur Käfer. Ringo hatte auch eine Blume gefunden, mit bläulich schimmerndem Blütenkelch. Damit war sie in die kurgärtliche Bibliothek gegangen und hatte sich eines der Bücher über Pflanzenkunde genommen. Ringo war eine Yamanaka, die Flora des Feuerreiches war ihr zwangsläufig bekannt, doch solch eine Blume kannte sie nicht.
So stand sie also am Fenster, immer wieder zum wandernden Politiker blickend und zugleich im Pflanzenführer blätternd. Auch ihr Spürsinn war wach, ein stetig schweifendes Radar. Keine Gefahr, alles friedlich.

Die Bewachung einer Person. Nicht Neues, nichts Aufregendes, aber darüber war Isamu auch nicht böse. Es war etwas, das er kannte, das er einschätzen konnte. Zumindest, wenn alles so verläuft, wie geplant. Gross auf Feinde sollten sie - laut Missionsbeschreibung - wohl nicht stossen. Der Politiker wollte bloss einfach sicher gehen und auf alle potenziellen Gefahren vorbereitet sein. Aber Isamu konnte sich sowieso nicht vorstellen, dass man an diesem Ort feindlich gesinnte Leute antreffen würde. Kikoyama war seit jeher bekannt dafür, ein Ort der Ruhe und des Friedens zu sein. Er diente zur Erholung, das lag womöglich am Wetter, denn dieses schien auf seltsame Art und Weise hier immer besser zu sein, als an anderen Orten. Womöglich aber auch an der Gestaltung der Stadt selbst. Klein - für eine Stadt -, übersichtlich, gemütlich. Genau so, wie man es erwarten würde.

Zu zweit hatten sich Ringo und Isamu auf diese Mission aufgemacht. Der Politiker zog seine Runden durch den Garten. Neben Shinobiwachen, die sie selbst darstellten, hatte er auch noch zwei einfach Soldaten als Schutz bei sich. Während Ringo und er sich etwas freier bewegen durften, mussten diese zwei Soldaten allerdings immer dich hinter dem Klient bleiben. Eine Aufgabe, um die Isamu die Beiden überhaupt nicht beneidete. Er war froh, ihren Klient einfach aus der Ferne beobachten zu können. Das machte im Grunde auch am meisten Sinn. Immerhin hatten sie so auch eine viel bessere Übersicht.
Gemeinsam mit Ringo hatte Isamu es sich am Fenster im oberen Stockwer einer Pagode gemütlich gemacht. Von hier aus hatte er einen wunderbaren Blick über den Garten. Er würde eventuelle Gefahren also sofort erkennen.
Nebenbei beobachtete Isamu, wie Ringo eine Blume mit blauen Blütenblätter in Händen hielt und in einem Buch blätterte.
"Stammt die von hier?", fragte Isamu gelangweilt. Blumen interessierten ihn nicht besonders, aber im Moment gab es tatsächlich nichts Spannenderes, mit dem ers ich ablenken könnte.
"Glaubst du, unser Klient will noch weitere fünf Runden durch den Garten drehen und uns warten lassen? Ich frage mich wirklich, wofür er uns braucht."

Während Ringo die Blume im Buch suchte, erweckte die Blüte zwar nicht das Interesse, aber zumindest die Aufmerksamkeit des anderen Konoha-Nin im Raum.
"Stammt die von hier?" Sein Tonfall sprach Bände. Isamu langweilte sich. Ringos Kamerad war kein Hitzkopf, der sich in jeder Sekunde einen Kampf wünschte oder hoffte, irgendetwas würde aus heiterem Himmel in die Luft fliegen. Doch wenn er sich überflüssig fühlte, machte er seinem Unmut eben ab und an Luft. Besonders, wenn er mit jemandem wie Ringo zusammen war, die er schon seit Jahren kannte. Er wußte, sie würde ihm das Gegnorchel nicht übel nehmen oder von ihm als Jammerlappen denken.
Aus dem Garten, beantwortete Ringo die Frage. Sie hat mich angesprochen. Natürlich nicht buchstäblich. So pflegte es Ringo einfach zu sagen, wenn irgendetwas ihre Aufmerksamkeit erregt hatte. Sie blätterte um.
"Glaubst du, unser Klient will noch weitere fünf Runden durch den Garten drehen und uns warten lassen?" Für Isamu schien die Pflanze nicht fesselnd genug. "Ich frage mich wirklich, wofür er uns braucht."
Wahrscheinlich ist es eine Frage des Prinzips, dass wir hier sind, erwiderte Ringo mit Gleichmut. Für sie war die gegenwärtige Lage perfekt, ein risikofreier Erfolg in der Akte. Passiert nichts, wird sich niemand darüber aufregen, dass wir zwei etwas Produktiveres hätten tun können. Passiert doch etwas, und wir wären nicht hier, würde alles aufschreien und fragen, warum die Bewachung so miserabel aufgestellt war.
Mit dem Handrücken schob Ringo eine Haarsträhne aus ihrem Blickfeld. Da fand sie, was sie suchte, und ihr Finger schnellte herunter. Hart knallte er auf die Seite! Da! Gefunden. Eine Glaslilie! Sie zitierte aus dem Eintrag. Eine altehrwürdige Blume, welche die ... Erinnerungen des Landes in seinem Aroma verwandelt, sobald sie erblüht. Die Legende besagt, der Blütenkelch möge sich öffnen beim Klang reiner, wunderschöner Musik. Sie warf Isamu einen schrägen Blick zu, ohne Zweifel in dem Versuch, ihn in ihre kleine Pflanzenkunde einzubeziehen und von der Stille des Augenblicks abzulenken.
Beim Klang reiner, wunderschöner Musik, wiederholte sie, leicht amüsiert. Es klang schließlich sehr märchenhaft. Und damit unrealistisch. Soll ich es versuchen? - Ich bin eine Yamanaka, Blumen erhören meine Stimme. Sie räusperte sich.
Laaa da da da daaa daaa daaaaaah ...
Der letzte Ton verklang. Die Blume regte sich nicht. Ringos Augen wurden schmal, eine kleine Falte erschien auf ihrer Stirn. Dann streckte sie Isamu die Glaslilie hin.

Isamu konnte nicht verstehen, wie man Blumen so interessant finden konnte. Für ihn sah jede irgendwie gleich aus. Mehr oder weniger. Sie hatten alle Blüteblätter und einen grünen Stiel. Die Farben variierten wohl ab und an und auch die Form der Blütenblätter, aber das war nur Nebensache! Im Grunde sah jede wie die andere aus. Zumindest für Isamu. Vor allem dann, wenn es nicht interessant genug für ihn war.
Als Ringo dann auf seine Frage antwortete, sah er sie direkt an. Sie hatte recht, im Grunde wusste er das auch, er hätte sich die Frage also durchaus selbst beantworten können, aber so konnte er sich immerhin mit einer kleinen Plauderei die Zeit vertreiben. Untätiges Rumsitzen war nicht unbedingt eine Stärke seinerseits.
"Du hast ja recht.", erklärte er dann leise seufztend, "Dennoch erscheint mir das alles sehr sinnlos. Wofür wandert er denn die ganze Zeit durch den Garten?", vermutlich war das das Problem. Es gab keinen tiefen Sinn dahinter und deswegen war es in Isamus Augen einfach bloss Zeitverschwendung. Er konnte einer schönen Umgebung in der Natur noch nie besonders viel abgewinnen - mit Ausnahme, es war eine wirklich atemberaubende Naturkulisse, dann mochte auch er einmal innehalten und die Aussicht geniessen. Doch das hier war bloss ein Garten. Ein hübscher Garten, ja, aber nicht mehr.

Ringo beschäftigte sich weiter mit ihrer Blume und las ihm sogar einen kurzen Abschitt vor. Eine Glaslilie. Und man solle ihr etwas vorsingen. Isamu zog die Augenbrauen nach oben und sah sofort zu Ringo. Wollte sie nun ein Lied schmettern?
"Nicht, das ist ni-", doch sein Einwand kam zu spät, schon setzte die Yamanaka dazu an, zu singen. Isamu räusperte sich leise und wandte den Blick von ihr ab. Ihre Stimme war hübsch, sie konnte gar nicht mal so schlecht singen.
Und als Ringos Stimme nach nur wenigen Herzschlägen wieder verklang, wagte Isamu einen Blick zur Glaslilie - und das, obwohl er der festen Überzeugung war, dass es ihn nicht interessierte!
Die Blume hatte sich nicht geöffnet. Isamu lächelte leicht. "Ich fand' dein Lied ganz nett anzuhören. Der Blume scheint's allerdings nicht gefallen zu haben."
Hätte er bloss seine Klappe gehalten, dachte Isamu im nächsten Moment, als Ringo ihm die Glaslilie unter die Nase hielt. Für einen Moment starrte er sie mit hochgezogenen Augenbrauen an, dann wanderte sein Blick zu Ringo.
"Nein.", sagte er dann trocken und wandte sich wieder dem Ausblick auf den Garten zu.
Mit Sicherheit würde er nicht singen!

Nicht? Sie sollte nicht? Ringo hätte ja nun eigentlich stutzen müssen, um zutiefst verletzt nachzufragen, ob Isamu etwas gegen ihre Stimme hätte. Doch sie hatte ja selbst keine hohe Meinung von ihren Sangeskünsten, was gab es da also zu verletzen?
Nun ja, ein bisssssschen verletzend war es vielleicht doch, denn Isamu wandte sich ab, als wolle er vor ihrem kleinen Ständchen in die nächste Ecke fliehen. Als die Glaslilie sich nicht öffnete, schaute er natürlich hin.
"Ich fand' dein Lied ganz nett anzuhören. Der Blume scheint's allerdings nicht gefallen zu haben."
Netter Versuch. Ringo streckte ihm die Blume hin, richtete sie auf ihn wie ein Messer.
"Nein." Er schaute wieder raus. Isamu konnte sehr entwaffnend sein.
Ringo seufzte, nahm das Blümchen zurück. Na schön. Vielleicht war es von vornherein der falsche Ansatz, eine Blume mit solcher Legendenkraft einfach am Stiel abzurupfen. Gewiss bricht das jeden Zauber, den sie hätte haben können. - Ich nehme sie mit und presse sie in einem schönen, dicken Märchenbuch. Das wird den Zauber wieder herstellen.
Isamu war damit vom Haken, vorerst. Bei Gelegenheit würde er vielleicht wieder von der Glaslilie verfolgt werden. Nun aber schauten beide ANBU-Lehrlinge wieder in den Garten hinaus, wo ihr Klient noch immer lustwandelte.
Es war wohl ein guter Zeitpunkt, die Katze aus dem Sack zu lassen. Ringo schleppte seit dem frühen Morgen ein Geheimnis mit sich herum, das sie Isamu nun enthüllen würde. Ob es ihn schocken würde? Erschrecken? Oder gar nicht treffen, völlig kalt lassen? Ringo zumindest war milde beunruhigt.
Ich habe heute früh noch eine Nachricht von Emi bekommen, sagte sie unvermittelt. Isamu kannte Emi, eine gleichaltrige Chuunin, die derzeit ihren Dienst in der Personalverwaltung versah. Taromori-sensei kehrt demnächst in den Dienst zurück.
Taromori-sensei kam, so bedeutete dies, aus dem Gefängnis frei. Viel früher als eigentlich angenommen ...